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Freitag, 26. September 2014

Die Macht der Phantasie - Teil 3

Hm… irgendwie hab ich momentan nichts zu erzählen… Was heißt momentan - schon seit Monaten geht das so.

Vielen Dank an alle, die dennoch jeden neuen Post auf meinem Blog lesen. Ich freu mich wirklich über jeden Besuch.


Kapitel III – Sein oder Schein


„Was willst du hier?“, fuhr die Alte sie an. „Mach dass du weg kommst, ich hab selbst nicht genug, als dass ich Almosen verteilen könnte. Scher dich fort!“
Dazu fuchtelte sie mit ihrer schmutzigen Hand vor Gwens Gesicht herum.
„Ach Margowa, jetzt beruhigt Euch“, mischte sich Jacques beschwichtigend ein, als Gwendolin erschrocken zurückwich. „Habt Ihr denn keine Augen im Kopf? Seht Euch die junge Lady doch mal genauer an!“
Die Alte schien recht kurzsichtig zu sein, denn sie kniff die Augen zusammen und trat sehr nah an die junge Frau heran. Ihre lange Nase berührte fast die der anderen. Schließlich griff die Alte nach Gwens Kinn und betrachtete sich das junge Gesicht sehr gründlich von allen Seiten.

„Hübsch“, meinte sie dann und sah den Fuchs an. „Aber nichts besonderes. Ich habe schon viele hübsche Dinger gesehen. Das rechtfertigt noch lange nicht, dass ich ihr auch Almosen gebe. Warum hast du sie zu mir geführt, hm?“
Jacques seufzte, ließ sich bequem auf seine Hinterläufe nieder und legte geziert seinen buschigen Schwanz um seine Pfoten. „Du kapierst aber auch gar nichts, oder?“, fragte er dann. „WEN hat Lord Lyran gesucht? WEM hat er eine Botschaft überbringen lassen? Na? Ist der Groschen gefallen?“

Die trüben Augen der Alten wurden vor Erstaunen größer. „DAS ist sie?“, fragte sie verwundert und sah erneut zu Gwendolin, der diese Musterung recht peinlich und auch unangenehm war. Wo war sie hier nur gelandet? Und vor allem... wovon sprachen die beiden da gerade?
„Nun ja“, sprach Margowa weiter. „Ich hätte sie mir etwas... öhm... majestätischer vorgestellt. Oder zumindest nicht so verschüchtert. Na das bekommen wir schon hin. Fürs erste kommt einfach mal rein in die gute Stube.“
Sie griff Gwens Hand und zog sie mit sich in die Bretterhütte. Die junge Frau war viel zu verblüfft, um sich gegen den Griff zu wehren und selbst wenn sie es versucht hätte, wäre es ihr vermutlich nicht gelungen sich zu befreien. Die knochendürren Finger der Alten lagen wie ein Schraubstock um ihr Handgelenk.

Im Inneren des Häuschens wartete die nächste Überraschung auf Gwen. Sie hatte mit einem ärmliches Zimmerchen gerechnet, einem schiefen Tisch, einem Hocker und bestenfalls einem Sack Stroh in der Ecke als Bettersatz, aber gewiss nicht DAMIT!

Kaum hatte sie einen Fuß über die Schwelle gesetzt, da änderte sich das Bild vor ihren Augen. Der schmutzige Fußboden aus gestampftem Lehm wandelte sich in glänzenden Marmor, der mit kostbaren Teppichen bedeckt war, Wände und Decke begannen zu wachsen und sich auszudehnen und statt des kleinen, nur notdürftig mit Pergament bespannten Fensterchens, gab es nun gewaltige Fenster aus buntem Glas, deren volle Schönheit erst bei Sonnenschein richtig zur Geltung kommen würde. Schöne Bilder in schweren Goldrahmen hingen an den Wänden und  die Deckenränder waren mit feinen Stuckarbeiten verziert.

Gwendolin kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie war so von ihrer Umgebung fasziniert, dass sie gar nicht mehr auf die Alte geachtet hatte, bis diese sie ansprach.
„Überrascht?
Gwen wandte den Kopf und fuhr erneut zusammen. Vor ihr stand nicht mehr die alte Hexe, welche sie an der Tür so schroff behandelt hatte, sondern eine wunderschöne Frau mit langen, rotgoldenen Haaren und einem freundlichen Gesichtsausdruck.
„Daran musst du dich gewöhnen, es ist hier nicht alles so, wie es dir vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag.“
„Aber... wie ist das möglich? Wo bin ich hier überhaupt? Was mache ich hier und... WER seid ihr?“
Margowa runzelte die Stirn und sah zu Jacques, der ihnen gefolgt war. „Sie weiß nicht wer sie ist? Hast du ihr denn überhaupt nichts erzählt, du dummer kleiner Fuchs?“
„Das ist nicht meine Schuld“, verteidigte sich Jacques. „Lord Lyran hat extra darauf hingewiesen, dass er ihr alles selbst erklären will. Außerdem... WANN hätte ich es ihr denn sagen sollen? Sie hat ja die ganze Zeit über geschlafen.“
Der Blick, den er Gwen zuwarf, hatte fast etwas Anklagendes an sich.
„Ich habe NICHT geschlafen“, versuchte Gwen sich zu rechtfertigen. „Ich bin gestolpert und hab das Bewusstsein verloren und dann... dann war ich hier.“
„Also gut“, seufzte Margowa. „Wenn der Herr es so wünscht... Tut mir leid, dann darf ich deine Fragen nicht beantworten“, sagte sie nun zu Gwen. „Aber soviel kann ich dir verraten, du bist hier nicht in Gefahr. Komm, du hast doch bestimmt Hunger und bist müde.“

Hunger! Bei dem Wort meldete sich Gwendolins Magen, was ihr erneut recht peinlich war und sie nickte verlegen. „Ja, eigentlich schon.“
Die schöne Frau vor ihr lächelte und führte sie in ein geräumiges Zimmer. Ein prächtiges Himmelbett, wie Gwen es nur aus Märchen kannte, nahm eine komplette Wand ein. Direkt unter dem Fenster standen ein Tischen mit grazil geschwungenen Beinen und ein dazu passender Stuhl. Darauf stand bereits ein Teller mit dampfender Suppe, daneben ein weiterer Teller mit kaltem Braten, Brot und einem Stück Käse, sowie ein Krug und ein Glas aus geschliffenem Kristall. Schwere Vorhänge aus rotem Brokat rahmten das Fenster ein. An der letzten freien Wand stand ein gewaltiger Eichenschrank mit verspielter Schnitzerei. Die Tür daneben entdeckte Gwen erst bei genauerem Hinsehen.

„Das Badezimmer“, erklärte Margowa, die Gwens Blick bemerkt hatte. „Es schickt sich einfach nicht, die Waschschüssel offen ins Zimmer zu stellen. Ich werde dich jetzt alleine lassen. Solltest du etwas brauchen, dann läute nur.“ Sie deutete auf eine Klingelschnur neben dem Bett. „Man wird dir dann alles Nötige bringen. Gewänder und was du sonst noch brauchst findest du im Schrank. So und jetzt wünsch ich dir eine gute Nacht.“

Mit diesen Worten ließ sie Gwendolin alleine, die nicht so recht wusste, ob sie jetzt lachen oder weinen sollte. Wie oft hatte sie sich eine solche Szene vorgestellt? Dieses Zimmer war fast aufs Detail so, wie sie es schon hundert Mal beschrieben hatte. Ein paar Kleinigkeiten waren anders, so fehlte zum Beispiel der dicke Teppich vor dem Bett...

Gwendolin stieß ein überraschtes Keuchen aus, als sie ihren Blick zum Bett wandern ließ. Sie war sich ganz sicher, dass zuvor KEIN flauschiger weißer Teppich dort gelegen hatte.
„Also gut“, sagte sie leise zu sich selbst und ließ sich auf den Stuhl sinken. „Es gibt zwei Möglichkeiten – entweder ich hab ihn zuvor schlicht und ergreifend übersehen... oder ich dreh langsam durch. Oder – dritte Möglichkeit – ich träume das alles doch.“

*

„Tust du nicht“, murmelte die schwarzgekleidete Gestalt, die immer noch gebannt in die Kristallkugel blickte. „Aber das wirst du noch schneller herausbekommen, als dir lieb ist.“
Sie beobachtete, wie Gwen sich hungrig über ihre Suppe hermachte, den Rest aber stehen ließ und sich stattdessen zu Bett begab.
Die junge Frau musste wirklich müde sein, denn kaum hatte ihr Kopf das Kissen berührt, da war sie auch schon eingeschlafen. Sie hatte es nicht einmal mehr geschafft, sich umzukleiden.
Kopfschüttelnd wandte sich die Gestalt von dem Kristall ab und trat ans Fenster.
„Ragnheidur!“
Auf diesen halblauten Ruf hin begann es vor dem Fenster zu flattern und ein großer Rabe erschien auf dem Fensterbrett.
Sanft strich die Gestalt dem Vogel über das pechschwarze Federkleid und kraulte das Tier schließlich mit einem Finger am Kopf.
„Ich habe einen Auftrag für dich, treuer Freund...

*

An einem anderen Ort, nicht weit entfernt...

Zusammengekauert hockte er auf dem feuchten Stroh, die Hände unbequem nach oben gereckt. Wie lange war er nun schon hier? Er wusste es nicht. War Tag oder Nacht? Sommer oder Winter? Hier unten war alles gleich. Es gab kein Licht, keine Wärme, keine Hoffnung...
Halt! Hoffnung war das einzige, was ihm noch geblieben war und diese wollte er verteidigen bis zum Schluss. Wenn sie ihm doch nur wenigstens die Ketten abnehmen würden. Seine Handgelenke waren schon ganz wundgescheuert. Er konnte sich nicht einmal gegen die Ratten wehren, von denen es hier nur so wimmelte.
Da! Da war schon wieder eine. Er trat mit dem Fuß nach ihr und wurde mit einem empörten Quieken belohnt, als das Tier sich aus dem Staub machte.
Hoffentlich kam bald mal wieder jemand und brachte ihm etwas zu essen. Oder hatte er sich jetzt doch dazu entschlossen, ihn verhungern zu lassen?

*

„Aufwachen, Schlafmütze!“
Eine wohlbekannte Stimme riss Gwendolin aus ihren Träumen.
„Jacques, bitte, noch fünf Minuten“, murmelte sie. Sie wollte ihre Augen noch nicht öffnen, wollte zurück in ihren Traum. Er war so schön gewesen, so... Komisch, auf einmal konnte sie sich nicht mehr an ihn erinnern. Sie wusste nur noch, dass sie sich wohl gefühlt hatte, geborgen und beschützt.
„Nichts da. Du hast lange genug geschlafen.“
Mit einem Hopser landete der kleine Fuchs auf dem Bett und sah Gwen prüfend an.
„Stehst du freiwillig auf oder muss ich nachhelfen?“, fragte er und sie hätte schwören können, dass ein schelmischer Ausdruck auf dem spitzen Gesicht lag.
„Nein, nein... ich steh ja schon auf“, wehrte die junge Frau ab. Das fehlte ihr grade noch, dass ein FUCHS ihr beim Aufstehen half. Sie hatte so das Gefühl, dass diese ‚Hilfe’ aus einer nassen, rauen Zunge bestehen würde und diesmal bestimmt nicht nur an ihrer Hand.
„Geh mal runter“, bat sie Jacques. „Sonst könnte es passieren, dass du einen schmerzhaften Abgang machst.“
„Wie bitte?“ Verständnislos sah das Tier sie an.
„Wenn ich jetzt aufstehe und du bist noch hier oben, fällst du auf die Nase“, erklärte Gwen ihren Ausspruch. „Und das willst du doch nicht, oder?“
„Nicht unbedingt“, stimmte Jacques ihr zu und hüpfte vom Bett. „Sag mal... macht man das bei euch so, dass man im KLEID schläft?“, fragte er dann und rümpfte leicht die Nase. „Bei uns zieht man sich ein Nachthemd an... also als Mensch mein ich.“
„Bei uns auch, ich war nur zu müde“, gähnte Gwen, grinste dann und musterte den Fuchs übertrieben. „Wobei... DIR dürfte ein Nachthemd bestimmt auch gut stehen...“
„Lass das!“, ärgerte sich Jacques und schlich zur Tür. „Beeil dich mal lieber. Kleider findest du im Schrank. Mach dich frisch, zieh dich um und iss was, wir gehen nachher zu Lord Lyran.“
Damit war der kleine Fuchs auch schon wieder verschwunden.
Gwen streckte sich und trat dann ans Fenster, blickte gedankenverloren hinaus. Lyran... ER würde also etwas Licht in die ganze Angelegenheit bringen... und hoffentlich einen Weg zurück in ihre Welt wissen.
Auf dem Tischchen waren die Teller von letzter Nacht verschwunden und hatten einem Frühstück Platz gemacht, wie sie es sich normalerweise nur sonntags gönnte: Kleine, weiche Brötchen, Honig, ein Krug Milch, frisches Obst, ein Schüsselchen warme Hafergrütze und noch einige Dinge mehr.
Gwen nahm sich eines der kleinen Rosinenbrötchen und biss hinein, stutzte dann aber, als sie unter dem Milchkrug etwas Weißes hervorblitzen sah. Es war ein kleiner Umschlag, mit rotem Wachs versiegelt. Was konnte das sein? Es stand kein Name darauf und so brach Gwen das Siegel und öffnete das Kuvert.

 © Petra Staufer
Dieser Text darf NICHT ohne meine ausdrückliche Genehmigung weiterverbreitet und veröffentlicht werden!

Sorry, dass ich das dazuschreiben muss, aber es kam schon vor.

Sonntag, 21. September 2014

Die Macht der Phantasie - Teil 2

 Ein wenig spät, aber immer noch diese Woche ;)
Hier geht's ein wenig rund - Tochterkind brütet schon wieder krankheitsmäßig was aus. Ganz toll, wo wir doch alle erst mit Magen-Darm-Infekt lahmgelegt worden sind.
Aber man kann es sich ja nicht aussuchen, nicht?




Kapitel II - Aldath



Etwas raues, Feuchtes strich über ihre Hand und holte sie damit in die Wirklichkeit zurück. Gwendolin schlug die Augen auf, nur um sie sofort wieder zu schließen.
‘Ich träume’, dachte sie. ‘Ich bin umgefallen und hab mir tierisch den Kopf gestoßen, das KANN einfach nicht wahr sein.’
Blätter rauschten geheimnisvoll im Wind und der klagende Schrei eines Käuzchens durchschnitt die Nacht.
‘Aber WENN ich träume, dann ist das der realistischste Traum den ich je hatte’, spann sie ihren Gedanken weiter.
Mittlerweile stieg ihr auch der Geruch feuchter Erde in die Nase und so öffnete Gwen ihre Augen erneut.
Es war immer noch Nacht, aber sie war keinesfalls mehr auf dem Maskenball. Sie lag auf einer kleinen Lichtung inmitten eines Waldes. Der Boden war mit Moos bewachsen und Büschel von Farnkraut wuchsen hier und da unter den Bäumen. Der Mond stand rund und voll am tiefschwarzen Himmel, begleitet von vielen kleinen funkelnden Sternen.
Erneut erklang der langgezogene Käuzchenruf und ließ sie erschaudern.

Langsam setzte sie sich auf und sah sich genauer um. War da vorhin nicht etwas an ihrer Hand gewesen? Doch! Keine zwei Schritte entfernt saß ein junger Fuchs und sah sie aus großen, intelligenten Augen an.
Ihr erster Gedanke war: Hilfe! Der hat bestimmt die Tollwut, wenn der so nahe an mich rankommt.
Nur mit Müh und Not gelang es ihr die Panikattacke zu unterdrücken. Gwendolin  wandte den Kopf ab, ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen, kehrte jedoch immer wieder zu dem Tier zurück, das sich nicht von der Stelle rührte.
„Ha... hallo, Kleiner“, sagte sie schließlich – hauptsächlich um ihre Stimme zu hören. „Du kannst mir vermutlich auch nicht sagen, wo ich hier bin, was?“
„Sicher kann ich das.“
„Ah!“ Mit einem Aufschrei sprang sie auf die Beine und wich vor dem Fuchs zurück, der sie weiterhin reglos aus seinen schwarzen Augen ansah.
„Ich... ich glaub ich werd langsam wirklich verrückt“, murmelte sie. „Jetzt red ich schon mit Füchsen und bild mir auch noch ein, dass sie antworten...“
„Warum einbilden?“
Der Fuchs stand auf, streckte sich und gähnte herzhaft. „Wenn ich allerdings so lange geschlafen hätte wie DU, dann würde ich mich vermutlich auch fragen, ob ich nicht doch noch träume.“
Lange geschlafen? „Wie... wie lange hab ich denn... geschlafen?“, wollte sie wissen.
„Sag mal... fängst du jeden Satz damit an, dass du das erste Wort verdoppelst?“, wollte der Fuchs neugierig wissen ohne ihre Frage zu beantworten.
„Wie? Nein... nein, normalerweise nicht“, antwortete sie automatisch.
„Na dann bin ich ja beruhigt“, erwiderte der Fuchs. „Ich bin übrigens Jacques“,  fuhr er fort zu erzählen. „Und du hast jetzt drei Stunden hier gelegen ohne dich zu bewegen.“
„Gwendolin“, stellte sie sich vor und fragte sich zum x-ten Mal, was ihre Eltern dazu gebracht hatte, sie mit diesem Namen zu strafen. „Aber alle sagen nur Gwen. Drei Stunden sagst du? Ich weiß immer noch nicht so genau, was überhaupt passiert ist.“
„Naja...“, druckste Jacques herum. „Cillie, das Kaninchen, sollte dich herbegleiten, aber dabei ist wohl etwas schiefgelaufen. Wie auch immer, jedenfalls bist du, kaum dass du da warst, einfach umgefallen und liegen geblieben.“
„Dann hab ich mir das Kaninchen also doch nicht eingebildet... Moment. Willst du etwa sagen, dass ich mich in dem Wandteppich befinde?“ Gwen wollte es kaum glauben.
„Teppich? Was für ein Teppich?“ Verständnislos sah sie der kleine Fuchs an. „Du bist hier in Aldath und wir sollten dich im Auftrag unseres Meisters holen.“
„Und wer ist euer Meister?“
„Na Lyran natürlich. Du hast doch seine Nachricht bekommen, sonst wärst du jetzt nicht hier.“
„Lyran“, wiederholte Gwen. Er war also tatsächlich hier.

*

Weit entfernt in einem dunklen Turm blickte eine schwarzgekleidete Gestalt in ihre Kristallkugel. Mit dieser Kugel war es ihr möglich, jeden Winkel des Landes zu beobachten und sei er noch so klein und unzugänglich. Nichts blieb dem magischen Auge verborgen. In diesem Moment zeigte der Kristall das Bild eines Mädchens, das sich mit einem Fuchs unterhielt.
„Sieh an, sie haben es also tatsächlich geschafft“, murmelte die Gestalt und strich sich über das Kinn. „Fragt sich nur, ob es eine so gute Idee von ihnen war.“

*

„Mir ist kalt“, jammerte Gwen und schlang die Arme um ihren Körper. Seit knapp einer Stunde folgt sie Jacques jetzt schon durch den nächtlichen Wald. Immer wieder fragte sie sich, ob sie das richtige tat. Wäre es nicht besser gewesen, nach einem Rückweg zu suchen? Andererseits... wenn es tatsächlich Lyran war, der sie hierher gerufen hatte, dann kannte er bestimmt auch einen Weg zurück nach Hause.
„Es dauert nicht mehr lange“, versuchte der Fuchs sie zu trösten. „Bald kommen wir an die Hütte der alten Margowa. Sie sieht zwar recht seltsam aus und gibt sich auch etwas ruppig, aber sie hat das Herz am rechten Fleck und bestimmt noch etwas Suppe für dich übrig.“
Die Aussicht auf einen Teller heiße Suppe ließ Gwen ihre momentanen Sorgen vergessen. Erst jetzt merkte sie, WIE hungrig sie tatsächlich war. Kein Wunder, vor lauter Aufregung hatte sie fast den ganzen Tag nichts gegessen und auf dem Ball hatte sie ebenfalls keine Zeit mehr gehabt, sich um ihr leibliches Wohl zu kümmern.
„Dort drüben ist es“, riss Jacques sie erneut aus ihren Gedanken. „Gleich unter der dicken Hainbuche kannst du ihre Hütte sehen.“

Dicht an den Stamm eines knorrigen Baumes gedrückt stand dort ein windschiefes Häuschen, das bestimmt beim nächsten stärkeren Luftzug auseinanderbrach. Zumindest war sich Gwen da sehr sicher. Und DORT sollte jemand wohnen? Zuhause hätte sie nie im Leben auch nur einen Fuß in diese Hütte gesetzt, aber mittlerweile war sie wirklich bereit für einen Teller Suppe ein solches Risiko einzugehen.
Zaghaft klopfte sie an die Tür und wartete, dass sie eingelassen wurde.

Schlurfende Schritte waren zu hören und gleich darauf öffnete sich die Tür und das hässlichste Weib, das Gwendolin je gesehen hatte, schaute sie an.

 © Petra Staufer
Dieser Text darf NICHT ohne meine ausdrückliche Genehmigung weiterverbreitet und veröffentlicht werden!
Sorry, dass ich das dazuschreiben muss, aber es kam schon vor.

Dienstag, 9. September 2014

Die Macht der Phantasie - Teil 1

Wie lange ist das jetzt her, dass ich mehr oder weniger aufgehört hab, Geschichten zu schreiben? Hm… bestimmt schon so 3 Jahre etwa…
Lag wohl mit an der Nachricht meines Verlags, dass sie die Trilogie nach dem ersten Band beenden, weil es kaum Käufer gibt.
JAHA - das IST ein Wink mit dem Zaunpfahl ;) Und ehrlich, soooo teuer ist das Buch nicht. Probiert es doch einfach, auch wenn ihr keine so wirklichen Fantasy-Freunde seid. Es lohnt sich durchaus.
Das andere Buch ist zwar ein bisschen teurer, aber kostet dennoch nicht mehr als etwa drei dieser Wochenzeitschriften, die sich viele so gerne antun, um in Sachen Mode und Tratsch auf dem Laufenden zu sein.

Wer jetzt immer noch zweifelt und lieber wissen will, wie ich denn so schreibe, für den hab ich was. (Für die anderen natürlich auch, klar)

Ich werde hier in den nächsten paar Wochen die allererste Geschichte, die von mir veröffentlicht wurde, zum Lesen freigeben. Kapitel für Kapitel.

'Die Macht der Phantasie' ist in der Geschichtensammlung 'Welt der Geschichten II' erschienen, die bereits vergriffen ist.


Die Macht der Phantasie
IN PRINCIPIO ERAT VERBUM


Kapitel I - Maskenball


Gedankenverloren stand Gwendolin vor dem Spiegel und kämmte sich die langen, dunklen Haare. Heute Abend würde sie Oliver das erste Mal sehen. RICHTIG sehen, nicht nur auf einem Foto.
Wie es wohl war, von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu sprechen? Nicht nur über Telefon, sondern ihn tatsächlich zu hören und dabei auch zu sehen. In real live, wie es so schön genannt wurde. Nun, bald würde sie es wissen.

Gwendolin wandte sich vom Spiegel ab und betrachtete das Kleid, das sorgsam auf einem Bügel an der Schranktüre hing. Dunkelblau war es, mit silbernen Verzierungen und hübschen Stickereien auf dem Oberteil und an den Ärmeln. Hoffentlich stolperte sie nicht über den Saum, denn es reichte bis auf den Boden. Es hatte sie viel Arbeit – und auch etliche Tropfen Blut – gekostet, dieses Kleid zu nähen. Der linke Zeigefinger schmerzte immer noch vom letzten Stich, den sie prompt daneben gesetzt hatte. Sie war schon sehr gespannt, ob Oliver sie erkannte.

Ein Maskenball! Diese Idee war typisch für ihn. Aber warum auch nicht? Zumindest passte es zu ihren Geschichten, die sie sich oft gemeinsam ausdachten und auch zu Papier brachten. Meist ging es darin um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse und bisher hatten sie es noch nie geschafft, eine dieser Geschichten zu Ende zu schreiben. Sie wussten nicht genau wieso. Vielleicht lag es daran, dass Gwen sich nicht entscheiden konnten, welche Seite gewinnen sollte. Irgendwann – da war sie sich sicher – irgendwann würden sie wenigstens EINE der Geschichten beenden.


Zwei Stunden später erreichte Gwendolin den Ballsaal. In dem langen Kleid zu laufen war doch nicht so schwer, wie sie zuerst befürchtet hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich aber auch wie eine der Figuren aus ihren Geschichten. Sie spielten fast immer in einer Märchenwelt und waren angefüllt mit so ziemlich allen Wesen, die ihre Phantasie hervorbringen konnte: Drachen natürlich, dann Einhörner, sprechende Tiere, Riesen, Zwerge, Elfen und Feen. Neuerdings kamen auch etwas ausgefallenere Wesen dazu wie Elementargeister oder exotische Tierkombinationen wie Manticor oder Greif.
Mit der Zeit hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, nicht immer dem Klischee der Wesen zu folgen und so kam es durchaus vor, dass ein Einhorn zum gefährlichsten Gegner des Helden wurde, der furchtbar aussehende Manticor aber in Wahrheit niemandem etwas zuleide tun konnte.

Ganz in Gedanken versunken lief Gwen durch den Ballsaal und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Alles war im mittelalterlichen Stil dekoriert und wunderschön hergerichtet worden. Pappsäulen sollten den Eindruck vermitteln, man befände sich in einer großen steinernen Halle und an den Wänden waren hölzerne Tische und Bänke aufgestellt worden. Auch beim Essen hatte man aufs Detail geachtet: Das Buffet ließ den Tisch fast zusammenbrechen und bestand hauptsächlich aus Fleisch, Fisch und Geflügel aller Arten. Dazu gab es etwas Brot und Gemüse, aber keine Kartoffeln oder sonstigen Beilagen. Wein und Bier wurde in Humpen ausgeschenkt und wer etwas Antialkoholisches wollte, der musste sich an Wasser oder Milch halten.

Es waren noch lange nicht alle Gäste eingetroffen und so beschloss Gwen, sich noch etwas umzusehen. Vielleicht hatte sie ja Glück und fand einen Platz, von dem aus sie den Eingang überblicken konnte. So hatte sie am ehesten die Chance, Oliver schnell zu finden.


Eine Stunde später hatte sie ihn immer noch nicht entdeckt und ihre Stimmung schlug langsam um. Warum war er nicht gekommen? Es war doch SEINE Idee gewesen, sich hier auf dem Maskenball zu treffen um sich endlich einmal richtig kennen zu lernen.
Traurig spielte sie mit einem Ring, den sie an der linken Hand trug. Er war silbern und zeigte eine filigrane Blume mit einem durchsichtigen Stein in der Mitte. Wie oft hatten sie genau diesen Ring in eine der Geschichten geschrieben? Meist war er dann magisch und konnte seinen Besitzer unsichtbar machen, oder er erfüllte drei Wünsche.
‘Wenn das mit den Wünschen doch nur wahr wäre’, dachte sie bei sich. ‘Dann würde ich mir jetzt wünschen, dass er endlich erscheint oder ich zumindest eine Nachricht von ihm erhalte.’

Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gedacht, als ein als Gaukler kostümierter Mann an sie herantrat und sie antippte.
„Verzeihung, Mylady“, sagte er freundlich. „Aber Ihr wartet nicht zufällig auf Euren Begleiter?“
Erstaunt sah sie zu ihm auf. „Doch, das stimmt. Kann er doch nicht kommen?“ Vielleicht hatte er ja angerufen und abgesagt... oder er verspätete sich etwas...
„Das weiß ich nicht, Mylady, aber ich habe den Auftrag bekommen, der Dame, die hier an diesem Tisch sitzt und auf ihren Begleiter wartet dies hier zu geben.“
Er drückte ihr eine kleine Schriftrolle in die Hand, verneigte sich kurz und verschwand dann in der Menge.
Etwas perplex sah sie ihm nach. Was war das eben gewesen? Egal, erst einmal musste sie wissen, was auf dem Pergament stand. Mit zitternden Fingern rollte sie das Blatt auf und begann zu lesen.

Mylady
Es tut mir schrecklich Leid,
dass ich Euch diese Nachricht
nicht selbst überbringen kann.
Glaubt mir, nichts wäre mir lieber
gewesen, als Euch persönlich
schon an der Tür zu empfangen
und gemeinsam mit Euch einen
wunderschönen Abend zu
Verbringen.
Leider wurde ich aufgehalten, doch
wenn Ihr Euch in den zweiten
Stock begebt, so wird sich alles
aufklären.
Wartet vor dem Wandteppich auf mich,
er birgt das Geheimnis.
Untertänigst, Lyran

Lyran! So nannte Oliver oft seine Figur in ihren Geschichten. Aber warum schrieb er so seltsame Sachen? War es ein Spiel von ihm?

Rasch erhob sich Gwendolin und ging hinaus in den Vorraum der Halle. Von dort führte eine Treppe in den zweiten Stock. Das Treppenhaus war nicht beleuchtet, denn eigentlich sollte der Ball nur unten im Saal stattfinden.
Verstohlen sah sie sich um. Niemand schien sie zu beachten und so stieg sie vorsichtig, um nicht über den Saum zu stolpern, die Marmorstufen hinauf.

Der Gang vor ihr lag in völliger Dunkelheit. Einen Lichtschalter konnte sie nicht finden, doch auf einem kleinen Tischchen gleich neben der Treppe stand ein dreiarmiger Kerzenleuchter und direkt daneben lag ein Päckchen Streichhölzer. Sie überlegte nicht lange und entzündete die Kerzen. Die Streichholzschachtel steckte sie unbewusst ein, ehe sie den Leuchter in die Hand nahm und sich auf die Suche nach dem genannten Wandteppich machte.
Ihre Schritte hallten unheimlich von den Wänden wieder und von der Feier unten war kaum etwas zu hören. Es war, als befände sie sich in einer anderen Welt.
Ohne dass sie es merkte wurden ihre Schritte kleiner und schließlich blieb sie ganz stehen. Sie drehte leicht den Kopf und sah, dass sie gerade vor dem gesuchten Teppich stand. Nun musste sie also nur noch warten.

Die Zeit schien ihr endlos und langsam wusste Gwen nicht mehr, ob sie nicht doch besser umkehren sollte. Bestimmt hatte er sich nur einen Scherz erlaubt und wartete mittlerweile unten im Saal auf sie.
Sie wollte gerade gehen, als sie einen Windhauch spürte.
‘Seltsam’, dachte Gwen. ‘Hier ist doch nirgends ein Fenster offen.’
Suchend sah sie sich um. Nein, es gab tatsächlich nirgends ein offenes Fenster und auch die Türen waren alle geschlossen.
Wieder dieser Luftzug. Und was war das? Das klang doch nach einem Kauz. Doch wie sollte hier ein Käuzchen hereinkommen? Hastig drehte sie sich um. Langsam aber sicher wurde es unheimlich. Was war hier nur los?
Nun stand sie direkt vor dem Wandteppich. Gwen hielt den Kerzenleuchter höher und besah ihn sich genauer. Im flackernden Kerzenlicht wirkte das Bild fast lebendig. Die Blätter an den Bäumen schienen sich zu bewegen und auch das Kaninchen sah fast so aus, als hätte es gerade mit den Ohren gezuckt.
Sie trat einen Schritt näher. Der Teppich zeigte einen phantastischen Wald. Seltsamerweise bei Nacht und trotzdem waren viele Tiere abgebildet. Sie sah genauer hin. Ja, tatsächlich, auf einem der Äste saß ein Kauz.
‘Ich werde noch verrückt!’, schoss es Gwendolin durch den Kopf. Jetzt FÜHLTE sie den Luftzug nicht nur, jetzt SAH sie ihn auch schon. Die Blätter an den Bäumen hatten sich ohne Zweifel bewegt und auch das Kaninchen war verschwunden. Dabei war sie sich ganz sicher, dass es gerade eben noch hier gewesen war.
Sie trat noch einen Schritt näher und stolperte plötzlich über etwas Weiches. Im Fallen sah sie nach unten und entdeckte eben dieses Kaninchen, das nun vor ihren Füßen saß. Sie streckte die Hände vor, um sich an der Wand abzustützen, aber dort war keine Wand mehr. Es gab nichts, was ihren Sturz aufhalten konnte. Mit einem Aufschrei kippte sie weiter, hinein in einen Strudel aus Farben und Formen. Alles verschwamm vor ihren Augen und irgendwann schaltete ihr Gehirn ab und sie fiel in eine erlösende Ohnmacht.

 © Petra Staufer
Dieser Text darf NICHT ohne meine ausdrückliche Genehmigung weiterverbreitet und veröffentlicht werden!
Sorry, dass ich das dazuschreiben muss, aber es kam schon vor.