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Kapitel III – Sein oder Schein
„Was willst du hier?“, fuhr die
Alte sie an. „Mach dass du weg kommst, ich hab selbst nicht genug, als dass ich
Almosen verteilen könnte. Scher dich fort!“
Dazu fuchtelte sie mit ihrer
schmutzigen Hand vor Gwens Gesicht herum.
„Ach Margowa, jetzt beruhigt
Euch“, mischte sich Jacques beschwichtigend ein, als Gwendolin erschrocken
zurückwich. „Habt Ihr denn keine Augen im Kopf? Seht Euch die junge Lady doch
mal genauer an!“
Die Alte schien recht kurzsichtig
zu sein, denn sie kniff die Augen zusammen und trat sehr nah an die junge Frau
heran. Ihre lange Nase berührte fast die der anderen. Schließlich griff die
Alte nach Gwens Kinn und betrachtete sich das junge Gesicht sehr gründlich von
allen Seiten.
„Hübsch“, meinte sie dann und sah
den Fuchs an. „Aber nichts besonderes. Ich habe schon viele hübsche Dinger
gesehen. Das rechtfertigt noch lange nicht, dass ich ihr auch Almosen gebe.
Warum hast du sie zu mir geführt, hm?“
Jacques seufzte, ließ sich bequem
auf seine Hinterläufe nieder und legte geziert seinen buschigen Schwanz um
seine Pfoten. „Du kapierst aber auch gar nichts, oder?“, fragte er dann. „WEN
hat Lord Lyran gesucht? WEM hat er eine Botschaft überbringen lassen? Na? Ist
der Groschen gefallen?“
Die trüben Augen der Alten wurden
vor Erstaunen größer. „DAS ist sie?“, fragte sie verwundert und sah erneut zu
Gwendolin, der diese Musterung recht peinlich und auch unangenehm war. Wo war
sie hier nur gelandet? Und vor allem... wovon sprachen die beiden da gerade?
„Nun ja“, sprach Margowa weiter.
„Ich hätte sie mir etwas... öhm... majestätischer vorgestellt. Oder zumindest
nicht so verschüchtert. Na das bekommen wir schon hin. Fürs erste kommt einfach
mal rein in die gute Stube.“
Sie griff Gwens Hand und zog sie
mit sich in die Bretterhütte. Die junge Frau war viel zu verblüfft, um sich
gegen den Griff zu wehren und selbst wenn sie es versucht hätte, wäre es ihr
vermutlich nicht gelungen sich zu befreien. Die knochendürren Finger der Alten
lagen wie ein Schraubstock um ihr Handgelenk.
Im Inneren des Häuschens wartete
die nächste Überraschung auf Gwen. Sie hatte mit einem ärmliches Zimmerchen
gerechnet, einem schiefen Tisch, einem Hocker und bestenfalls einem Sack Stroh
in der Ecke als Bettersatz, aber gewiss nicht DAMIT!
Kaum hatte sie einen Fuß über die
Schwelle gesetzt, da änderte sich das Bild vor ihren Augen. Der schmutzige
Fußboden aus gestampftem Lehm wandelte sich in glänzenden Marmor, der mit
kostbaren Teppichen bedeckt war, Wände und Decke begannen zu wachsen und sich
auszudehnen und statt des kleinen, nur notdürftig mit Pergament bespannten Fensterchens,
gab es nun gewaltige Fenster aus buntem Glas, deren volle Schönheit erst bei
Sonnenschein richtig zur Geltung kommen würde. Schöne Bilder in schweren
Goldrahmen hingen an den Wänden und die
Deckenränder waren mit feinen Stuckarbeiten verziert.
Gwendolin kam aus dem Staunen
nicht mehr heraus. Sie war so von ihrer Umgebung fasziniert, dass sie gar nicht
mehr auf die Alte geachtet hatte, bis diese sie ansprach.
„Überrascht?
Gwen wandte den Kopf und fuhr
erneut zusammen. Vor ihr stand nicht mehr die alte Hexe, welche sie an der Tür
so schroff behandelt hatte, sondern eine wunderschöne Frau mit langen,
rotgoldenen Haaren und einem freundlichen Gesichtsausdruck.
„Daran musst du dich gewöhnen, es
ist hier nicht alles so, wie es dir vielleicht auf den ersten Blick erscheinen
mag.“
„Aber... wie ist das möglich? Wo
bin ich hier überhaupt? Was mache ich hier und... WER seid ihr?“
Margowa runzelte die Stirn und
sah zu Jacques, der ihnen gefolgt war. „Sie weiß nicht wer sie ist? Hast du ihr
denn überhaupt nichts erzählt, du dummer kleiner Fuchs?“
„Das ist nicht meine Schuld“,
verteidigte sich Jacques. „Lord Lyran hat extra darauf hingewiesen, dass er ihr
alles selbst erklären will. Außerdem... WANN hätte ich es ihr denn sagen
sollen? Sie hat ja die ganze Zeit über geschlafen.“
Der Blick, den er Gwen zuwarf,
hatte fast etwas Anklagendes an sich.
„Ich habe NICHT geschlafen“,
versuchte Gwen sich zu rechtfertigen. „Ich bin gestolpert und hab das
Bewusstsein verloren und dann... dann war ich hier.“
„Also gut“, seufzte Margowa.
„Wenn der Herr es so wünscht... Tut mir leid, dann darf ich deine Fragen nicht
beantworten“, sagte sie nun zu Gwen. „Aber soviel kann ich dir verraten, du
bist hier nicht in Gefahr. Komm, du hast doch bestimmt Hunger und bist müde.“
Hunger! Bei dem Wort meldete sich
Gwendolins Magen, was ihr erneut recht peinlich war und sie nickte verlegen.
„Ja, eigentlich schon.“
Die schöne Frau vor ihr lächelte
und führte sie in ein geräumiges Zimmer. Ein prächtiges Himmelbett, wie Gwen es
nur aus Märchen kannte, nahm eine komplette Wand ein. Direkt unter dem Fenster standen
ein Tischen mit grazil geschwungenen Beinen und ein dazu passender Stuhl.
Darauf stand bereits ein Teller mit dampfender Suppe, daneben ein weiterer
Teller mit kaltem Braten, Brot und einem Stück Käse, sowie ein Krug und ein
Glas aus geschliffenem Kristall. Schwere Vorhänge aus rotem Brokat rahmten das
Fenster ein. An der letzten freien Wand stand ein gewaltiger Eichenschrank mit
verspielter Schnitzerei. Die Tür daneben entdeckte Gwen erst bei genauerem
Hinsehen.
„Das Badezimmer“, erklärte
Margowa, die Gwens Blick bemerkt hatte. „Es schickt sich einfach nicht, die
Waschschüssel offen ins Zimmer zu stellen. Ich werde dich jetzt alleine lassen.
Solltest du etwas brauchen, dann läute nur.“ Sie deutete auf eine Klingelschnur
neben dem Bett. „Man wird dir dann alles Nötige bringen. Gewänder und was du
sonst noch brauchst findest du im Schrank. So und jetzt wünsch ich dir eine
gute Nacht.“
Mit diesen Worten ließ sie
Gwendolin alleine, die nicht so recht wusste, ob sie jetzt lachen oder weinen
sollte. Wie oft hatte sie sich eine solche Szene vorgestellt? Dieses Zimmer war
fast aufs Detail so, wie sie es schon hundert Mal beschrieben hatte. Ein paar
Kleinigkeiten waren anders, so fehlte zum Beispiel der dicke Teppich vor dem
Bett...
Gwendolin stieß ein überraschtes
Keuchen aus, als sie ihren Blick zum Bett wandern ließ. Sie war sich ganz
sicher, dass zuvor KEIN flauschiger weißer Teppich dort gelegen hatte.
„Also gut“, sagte sie leise zu
sich selbst und ließ sich auf den Stuhl sinken. „Es gibt zwei Möglichkeiten –
entweder ich hab ihn zuvor schlicht und ergreifend übersehen... oder ich dreh
langsam durch. Oder – dritte Möglichkeit – ich träume das alles doch.“
*
„Tust du nicht“, murmelte die
schwarzgekleidete Gestalt, die immer noch gebannt in die Kristallkugel blickte.
„Aber das wirst du noch schneller herausbekommen, als dir lieb ist.“
Sie beobachtete, wie Gwen sich
hungrig über ihre Suppe hermachte, den Rest aber stehen ließ und sich
stattdessen zu Bett begab.
Die junge Frau musste wirklich
müde sein, denn kaum hatte ihr Kopf das Kissen berührt, da war sie auch schon
eingeschlafen. Sie hatte es nicht einmal mehr geschafft, sich umzukleiden.
Kopfschüttelnd wandte sich die
Gestalt von dem Kristall ab und trat ans Fenster.
„Ragnheidur!“
Auf diesen halblauten Ruf hin
begann es vor dem Fenster zu flattern und ein großer Rabe erschien auf dem
Fensterbrett.
Sanft strich die Gestalt dem
Vogel über das pechschwarze Federkleid und kraulte das Tier schließlich mit
einem Finger am Kopf.
„Ich habe einen Auftrag für dich,
treuer Freund...
*
An einem anderen Ort, nicht
weit entfernt...
Zusammengekauert hockte er auf
dem feuchten Stroh, die Hände unbequem nach oben gereckt. Wie lange war er nun
schon hier? Er wusste es nicht. War Tag oder Nacht? Sommer oder Winter? Hier
unten war alles gleich. Es gab kein Licht, keine Wärme, keine Hoffnung...
Halt! Hoffnung war das einzige,
was ihm noch geblieben war und diese wollte er verteidigen bis zum Schluss.
Wenn sie ihm doch nur wenigstens die Ketten abnehmen würden. Seine Handgelenke
waren schon ganz wundgescheuert. Er konnte sich nicht einmal gegen die Ratten
wehren, von denen es hier nur so wimmelte.
Da! Da war schon wieder eine. Er
trat mit dem Fuß nach ihr und wurde mit einem empörten Quieken belohnt, als das
Tier sich aus dem Staub machte.
Hoffentlich kam bald mal wieder
jemand und brachte ihm etwas zu essen. Oder hatte er sich jetzt doch dazu
entschlossen, ihn verhungern zu lassen?
*
„Aufwachen, Schlafmütze!“
Eine wohlbekannte Stimme riss
Gwendolin aus ihren Träumen.
„Jacques, bitte, noch fünf
Minuten“, murmelte sie. Sie wollte ihre Augen noch nicht öffnen, wollte zurück
in ihren Traum. Er war so schön gewesen, so... Komisch, auf einmal konnte sie
sich nicht mehr an ihn erinnern. Sie wusste nur noch, dass sie sich wohl
gefühlt hatte, geborgen und beschützt.
„Nichts da. Du hast lange genug
geschlafen.“
Mit einem Hopser landete der
kleine Fuchs auf dem Bett und sah Gwen prüfend an.
„Stehst du freiwillig auf oder
muss ich nachhelfen?“, fragte er und sie hätte schwören können, dass ein
schelmischer Ausdruck auf dem spitzen Gesicht lag.
„Nein, nein... ich steh ja schon
auf“, wehrte die junge Frau ab. Das fehlte ihr grade noch, dass ein FUCHS ihr
beim Aufstehen half. Sie hatte so das Gefühl, dass diese ‚Hilfe’ aus einer
nassen, rauen Zunge bestehen würde und diesmal bestimmt nicht nur an ihrer
Hand.
„Geh mal runter“, bat sie
Jacques. „Sonst könnte es passieren, dass du einen schmerzhaften Abgang
machst.“
„Wie bitte?“ Verständnislos sah
das Tier sie an.
„Wenn ich jetzt aufstehe und du
bist noch hier oben, fällst du auf die Nase“, erklärte Gwen ihren Ausspruch.
„Und das willst du doch nicht, oder?“
„Nicht unbedingt“, stimmte
Jacques ihr zu und hüpfte vom Bett. „Sag mal... macht man das bei euch so, dass
man im KLEID schläft?“, fragte er dann und rümpfte leicht die Nase. „Bei uns
zieht man sich ein Nachthemd an... also als Mensch mein ich.“
„Bei uns auch, ich war nur zu
müde“, gähnte Gwen, grinste dann und musterte den Fuchs übertrieben. „Wobei...
DIR dürfte ein Nachthemd bestimmt auch gut stehen...“
„Lass das!“, ärgerte sich Jacques
und schlich zur Tür. „Beeil dich mal lieber. Kleider findest du im Schrank.
Mach dich frisch, zieh dich um und iss was, wir gehen nachher zu Lord Lyran.“
Damit war der kleine Fuchs auch
schon wieder verschwunden.
Gwen streckte sich und trat dann
ans Fenster, blickte gedankenverloren hinaus. Lyran... ER würde also etwas
Licht in die ganze Angelegenheit bringen... und hoffentlich einen Weg zurück in
ihre Welt wissen.
Auf dem Tischchen waren die
Teller von letzter Nacht verschwunden und hatten einem Frühstück Platz gemacht,
wie sie es sich normalerweise nur sonntags gönnte: Kleine, weiche Brötchen,
Honig, ein Krug Milch, frisches Obst, ein Schüsselchen warme Hafergrütze und
noch einige Dinge mehr.
Gwen nahm sich eines der kleinen
Rosinenbrötchen und biss hinein, stutzte dann aber, als sie unter dem Milchkrug
etwas Weißes hervorblitzen sah. Es war ein kleiner Umschlag, mit rotem Wachs
versiegelt. Was konnte das sein? Es stand kein Name darauf und so brach Gwen
das Siegel und öffnete das Kuvert.