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Sonntag, 21. September 2014

Die Macht der Phantasie - Teil 2

 Ein wenig spät, aber immer noch diese Woche ;)
Hier geht's ein wenig rund - Tochterkind brütet schon wieder krankheitsmäßig was aus. Ganz toll, wo wir doch alle erst mit Magen-Darm-Infekt lahmgelegt worden sind.
Aber man kann es sich ja nicht aussuchen, nicht?




Kapitel II - Aldath



Etwas raues, Feuchtes strich über ihre Hand und holte sie damit in die Wirklichkeit zurück. Gwendolin schlug die Augen auf, nur um sie sofort wieder zu schließen.
‘Ich träume’, dachte sie. ‘Ich bin umgefallen und hab mir tierisch den Kopf gestoßen, das KANN einfach nicht wahr sein.’
Blätter rauschten geheimnisvoll im Wind und der klagende Schrei eines Käuzchens durchschnitt die Nacht.
‘Aber WENN ich träume, dann ist das der realistischste Traum den ich je hatte’, spann sie ihren Gedanken weiter.
Mittlerweile stieg ihr auch der Geruch feuchter Erde in die Nase und so öffnete Gwen ihre Augen erneut.
Es war immer noch Nacht, aber sie war keinesfalls mehr auf dem Maskenball. Sie lag auf einer kleinen Lichtung inmitten eines Waldes. Der Boden war mit Moos bewachsen und Büschel von Farnkraut wuchsen hier und da unter den Bäumen. Der Mond stand rund und voll am tiefschwarzen Himmel, begleitet von vielen kleinen funkelnden Sternen.
Erneut erklang der langgezogene Käuzchenruf und ließ sie erschaudern.

Langsam setzte sie sich auf und sah sich genauer um. War da vorhin nicht etwas an ihrer Hand gewesen? Doch! Keine zwei Schritte entfernt saß ein junger Fuchs und sah sie aus großen, intelligenten Augen an.
Ihr erster Gedanke war: Hilfe! Der hat bestimmt die Tollwut, wenn der so nahe an mich rankommt.
Nur mit Müh und Not gelang es ihr die Panikattacke zu unterdrücken. Gwendolin  wandte den Kopf ab, ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen, kehrte jedoch immer wieder zu dem Tier zurück, das sich nicht von der Stelle rührte.
„Ha... hallo, Kleiner“, sagte sie schließlich – hauptsächlich um ihre Stimme zu hören. „Du kannst mir vermutlich auch nicht sagen, wo ich hier bin, was?“
„Sicher kann ich das.“
„Ah!“ Mit einem Aufschrei sprang sie auf die Beine und wich vor dem Fuchs zurück, der sie weiterhin reglos aus seinen schwarzen Augen ansah.
„Ich... ich glaub ich werd langsam wirklich verrückt“, murmelte sie. „Jetzt red ich schon mit Füchsen und bild mir auch noch ein, dass sie antworten...“
„Warum einbilden?“
Der Fuchs stand auf, streckte sich und gähnte herzhaft. „Wenn ich allerdings so lange geschlafen hätte wie DU, dann würde ich mich vermutlich auch fragen, ob ich nicht doch noch träume.“
Lange geschlafen? „Wie... wie lange hab ich denn... geschlafen?“, wollte sie wissen.
„Sag mal... fängst du jeden Satz damit an, dass du das erste Wort verdoppelst?“, wollte der Fuchs neugierig wissen ohne ihre Frage zu beantworten.
„Wie? Nein... nein, normalerweise nicht“, antwortete sie automatisch.
„Na dann bin ich ja beruhigt“, erwiderte der Fuchs. „Ich bin übrigens Jacques“,  fuhr er fort zu erzählen. „Und du hast jetzt drei Stunden hier gelegen ohne dich zu bewegen.“
„Gwendolin“, stellte sie sich vor und fragte sich zum x-ten Mal, was ihre Eltern dazu gebracht hatte, sie mit diesem Namen zu strafen. „Aber alle sagen nur Gwen. Drei Stunden sagst du? Ich weiß immer noch nicht so genau, was überhaupt passiert ist.“
„Naja...“, druckste Jacques herum. „Cillie, das Kaninchen, sollte dich herbegleiten, aber dabei ist wohl etwas schiefgelaufen. Wie auch immer, jedenfalls bist du, kaum dass du da warst, einfach umgefallen und liegen geblieben.“
„Dann hab ich mir das Kaninchen also doch nicht eingebildet... Moment. Willst du etwa sagen, dass ich mich in dem Wandteppich befinde?“ Gwen wollte es kaum glauben.
„Teppich? Was für ein Teppich?“ Verständnislos sah sie der kleine Fuchs an. „Du bist hier in Aldath und wir sollten dich im Auftrag unseres Meisters holen.“
„Und wer ist euer Meister?“
„Na Lyran natürlich. Du hast doch seine Nachricht bekommen, sonst wärst du jetzt nicht hier.“
„Lyran“, wiederholte Gwen. Er war also tatsächlich hier.

*

Weit entfernt in einem dunklen Turm blickte eine schwarzgekleidete Gestalt in ihre Kristallkugel. Mit dieser Kugel war es ihr möglich, jeden Winkel des Landes zu beobachten und sei er noch so klein und unzugänglich. Nichts blieb dem magischen Auge verborgen. In diesem Moment zeigte der Kristall das Bild eines Mädchens, das sich mit einem Fuchs unterhielt.
„Sieh an, sie haben es also tatsächlich geschafft“, murmelte die Gestalt und strich sich über das Kinn. „Fragt sich nur, ob es eine so gute Idee von ihnen war.“

*

„Mir ist kalt“, jammerte Gwen und schlang die Arme um ihren Körper. Seit knapp einer Stunde folgt sie Jacques jetzt schon durch den nächtlichen Wald. Immer wieder fragte sie sich, ob sie das richtige tat. Wäre es nicht besser gewesen, nach einem Rückweg zu suchen? Andererseits... wenn es tatsächlich Lyran war, der sie hierher gerufen hatte, dann kannte er bestimmt auch einen Weg zurück nach Hause.
„Es dauert nicht mehr lange“, versuchte der Fuchs sie zu trösten. „Bald kommen wir an die Hütte der alten Margowa. Sie sieht zwar recht seltsam aus und gibt sich auch etwas ruppig, aber sie hat das Herz am rechten Fleck und bestimmt noch etwas Suppe für dich übrig.“
Die Aussicht auf einen Teller heiße Suppe ließ Gwen ihre momentanen Sorgen vergessen. Erst jetzt merkte sie, WIE hungrig sie tatsächlich war. Kein Wunder, vor lauter Aufregung hatte sie fast den ganzen Tag nichts gegessen und auf dem Ball hatte sie ebenfalls keine Zeit mehr gehabt, sich um ihr leibliches Wohl zu kümmern.
„Dort drüben ist es“, riss Jacques sie erneut aus ihren Gedanken. „Gleich unter der dicken Hainbuche kannst du ihre Hütte sehen.“

Dicht an den Stamm eines knorrigen Baumes gedrückt stand dort ein windschiefes Häuschen, das bestimmt beim nächsten stärkeren Luftzug auseinanderbrach. Zumindest war sich Gwen da sehr sicher. Und DORT sollte jemand wohnen? Zuhause hätte sie nie im Leben auch nur einen Fuß in diese Hütte gesetzt, aber mittlerweile war sie wirklich bereit für einen Teller Suppe ein solches Risiko einzugehen.
Zaghaft klopfte sie an die Tür und wartete, dass sie eingelassen wurde.

Schlurfende Schritte waren zu hören und gleich darauf öffnete sich die Tür und das hässlichste Weib, das Gwendolin je gesehen hatte, schaute sie an.

 © Petra Staufer
Dieser Text darf NICHT ohne meine ausdrückliche Genehmigung weiterverbreitet und veröffentlicht werden!
Sorry, dass ich das dazuschreiben muss, aber es kam schon vor.