Follow me in another language

Dienstag, 9. September 2014

Die Macht der Phantasie - Teil 1

Wie lange ist das jetzt her, dass ich mehr oder weniger aufgehört hab, Geschichten zu schreiben? Hm… bestimmt schon so 3 Jahre etwa…
Lag wohl mit an der Nachricht meines Verlags, dass sie die Trilogie nach dem ersten Band beenden, weil es kaum Käufer gibt.
JAHA - das IST ein Wink mit dem Zaunpfahl ;) Und ehrlich, soooo teuer ist das Buch nicht. Probiert es doch einfach, auch wenn ihr keine so wirklichen Fantasy-Freunde seid. Es lohnt sich durchaus.
Das andere Buch ist zwar ein bisschen teurer, aber kostet dennoch nicht mehr als etwa drei dieser Wochenzeitschriften, die sich viele so gerne antun, um in Sachen Mode und Tratsch auf dem Laufenden zu sein.

Wer jetzt immer noch zweifelt und lieber wissen will, wie ich denn so schreibe, für den hab ich was. (Für die anderen natürlich auch, klar)

Ich werde hier in den nächsten paar Wochen die allererste Geschichte, die von mir veröffentlicht wurde, zum Lesen freigeben. Kapitel für Kapitel.

'Die Macht der Phantasie' ist in der Geschichtensammlung 'Welt der Geschichten II' erschienen, die bereits vergriffen ist.


Die Macht der Phantasie
IN PRINCIPIO ERAT VERBUM


Kapitel I - Maskenball


Gedankenverloren stand Gwendolin vor dem Spiegel und kämmte sich die langen, dunklen Haare. Heute Abend würde sie Oliver das erste Mal sehen. RICHTIG sehen, nicht nur auf einem Foto.
Wie es wohl war, von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu sprechen? Nicht nur über Telefon, sondern ihn tatsächlich zu hören und dabei auch zu sehen. In real live, wie es so schön genannt wurde. Nun, bald würde sie es wissen.

Gwendolin wandte sich vom Spiegel ab und betrachtete das Kleid, das sorgsam auf einem Bügel an der Schranktüre hing. Dunkelblau war es, mit silbernen Verzierungen und hübschen Stickereien auf dem Oberteil und an den Ärmeln. Hoffentlich stolperte sie nicht über den Saum, denn es reichte bis auf den Boden. Es hatte sie viel Arbeit – und auch etliche Tropfen Blut – gekostet, dieses Kleid zu nähen. Der linke Zeigefinger schmerzte immer noch vom letzten Stich, den sie prompt daneben gesetzt hatte. Sie war schon sehr gespannt, ob Oliver sie erkannte.

Ein Maskenball! Diese Idee war typisch für ihn. Aber warum auch nicht? Zumindest passte es zu ihren Geschichten, die sie sich oft gemeinsam ausdachten und auch zu Papier brachten. Meist ging es darin um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse und bisher hatten sie es noch nie geschafft, eine dieser Geschichten zu Ende zu schreiben. Sie wussten nicht genau wieso. Vielleicht lag es daran, dass Gwen sich nicht entscheiden konnten, welche Seite gewinnen sollte. Irgendwann – da war sie sich sicher – irgendwann würden sie wenigstens EINE der Geschichten beenden.


Zwei Stunden später erreichte Gwendolin den Ballsaal. In dem langen Kleid zu laufen war doch nicht so schwer, wie sie zuerst befürchtet hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich aber auch wie eine der Figuren aus ihren Geschichten. Sie spielten fast immer in einer Märchenwelt und waren angefüllt mit so ziemlich allen Wesen, die ihre Phantasie hervorbringen konnte: Drachen natürlich, dann Einhörner, sprechende Tiere, Riesen, Zwerge, Elfen und Feen. Neuerdings kamen auch etwas ausgefallenere Wesen dazu wie Elementargeister oder exotische Tierkombinationen wie Manticor oder Greif.
Mit der Zeit hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, nicht immer dem Klischee der Wesen zu folgen und so kam es durchaus vor, dass ein Einhorn zum gefährlichsten Gegner des Helden wurde, der furchtbar aussehende Manticor aber in Wahrheit niemandem etwas zuleide tun konnte.

Ganz in Gedanken versunken lief Gwen durch den Ballsaal und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Alles war im mittelalterlichen Stil dekoriert und wunderschön hergerichtet worden. Pappsäulen sollten den Eindruck vermitteln, man befände sich in einer großen steinernen Halle und an den Wänden waren hölzerne Tische und Bänke aufgestellt worden. Auch beim Essen hatte man aufs Detail geachtet: Das Buffet ließ den Tisch fast zusammenbrechen und bestand hauptsächlich aus Fleisch, Fisch und Geflügel aller Arten. Dazu gab es etwas Brot und Gemüse, aber keine Kartoffeln oder sonstigen Beilagen. Wein und Bier wurde in Humpen ausgeschenkt und wer etwas Antialkoholisches wollte, der musste sich an Wasser oder Milch halten.

Es waren noch lange nicht alle Gäste eingetroffen und so beschloss Gwen, sich noch etwas umzusehen. Vielleicht hatte sie ja Glück und fand einen Platz, von dem aus sie den Eingang überblicken konnte. So hatte sie am ehesten die Chance, Oliver schnell zu finden.


Eine Stunde später hatte sie ihn immer noch nicht entdeckt und ihre Stimmung schlug langsam um. Warum war er nicht gekommen? Es war doch SEINE Idee gewesen, sich hier auf dem Maskenball zu treffen um sich endlich einmal richtig kennen zu lernen.
Traurig spielte sie mit einem Ring, den sie an der linken Hand trug. Er war silbern und zeigte eine filigrane Blume mit einem durchsichtigen Stein in der Mitte. Wie oft hatten sie genau diesen Ring in eine der Geschichten geschrieben? Meist war er dann magisch und konnte seinen Besitzer unsichtbar machen, oder er erfüllte drei Wünsche.
‘Wenn das mit den Wünschen doch nur wahr wäre’, dachte sie bei sich. ‘Dann würde ich mir jetzt wünschen, dass er endlich erscheint oder ich zumindest eine Nachricht von ihm erhalte.’

Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gedacht, als ein als Gaukler kostümierter Mann an sie herantrat und sie antippte.
„Verzeihung, Mylady“, sagte er freundlich. „Aber Ihr wartet nicht zufällig auf Euren Begleiter?“
Erstaunt sah sie zu ihm auf. „Doch, das stimmt. Kann er doch nicht kommen?“ Vielleicht hatte er ja angerufen und abgesagt... oder er verspätete sich etwas...
„Das weiß ich nicht, Mylady, aber ich habe den Auftrag bekommen, der Dame, die hier an diesem Tisch sitzt und auf ihren Begleiter wartet dies hier zu geben.“
Er drückte ihr eine kleine Schriftrolle in die Hand, verneigte sich kurz und verschwand dann in der Menge.
Etwas perplex sah sie ihm nach. Was war das eben gewesen? Egal, erst einmal musste sie wissen, was auf dem Pergament stand. Mit zitternden Fingern rollte sie das Blatt auf und begann zu lesen.

Mylady
Es tut mir schrecklich Leid,
dass ich Euch diese Nachricht
nicht selbst überbringen kann.
Glaubt mir, nichts wäre mir lieber
gewesen, als Euch persönlich
schon an der Tür zu empfangen
und gemeinsam mit Euch einen
wunderschönen Abend zu
Verbringen.
Leider wurde ich aufgehalten, doch
wenn Ihr Euch in den zweiten
Stock begebt, so wird sich alles
aufklären.
Wartet vor dem Wandteppich auf mich,
er birgt das Geheimnis.
Untertänigst, Lyran

Lyran! So nannte Oliver oft seine Figur in ihren Geschichten. Aber warum schrieb er so seltsame Sachen? War es ein Spiel von ihm?

Rasch erhob sich Gwendolin und ging hinaus in den Vorraum der Halle. Von dort führte eine Treppe in den zweiten Stock. Das Treppenhaus war nicht beleuchtet, denn eigentlich sollte der Ball nur unten im Saal stattfinden.
Verstohlen sah sie sich um. Niemand schien sie zu beachten und so stieg sie vorsichtig, um nicht über den Saum zu stolpern, die Marmorstufen hinauf.

Der Gang vor ihr lag in völliger Dunkelheit. Einen Lichtschalter konnte sie nicht finden, doch auf einem kleinen Tischchen gleich neben der Treppe stand ein dreiarmiger Kerzenleuchter und direkt daneben lag ein Päckchen Streichhölzer. Sie überlegte nicht lange und entzündete die Kerzen. Die Streichholzschachtel steckte sie unbewusst ein, ehe sie den Leuchter in die Hand nahm und sich auf die Suche nach dem genannten Wandteppich machte.
Ihre Schritte hallten unheimlich von den Wänden wieder und von der Feier unten war kaum etwas zu hören. Es war, als befände sie sich in einer anderen Welt.
Ohne dass sie es merkte wurden ihre Schritte kleiner und schließlich blieb sie ganz stehen. Sie drehte leicht den Kopf und sah, dass sie gerade vor dem gesuchten Teppich stand. Nun musste sie also nur noch warten.

Die Zeit schien ihr endlos und langsam wusste Gwen nicht mehr, ob sie nicht doch besser umkehren sollte. Bestimmt hatte er sich nur einen Scherz erlaubt und wartete mittlerweile unten im Saal auf sie.
Sie wollte gerade gehen, als sie einen Windhauch spürte.
‘Seltsam’, dachte Gwen. ‘Hier ist doch nirgends ein Fenster offen.’
Suchend sah sie sich um. Nein, es gab tatsächlich nirgends ein offenes Fenster und auch die Türen waren alle geschlossen.
Wieder dieser Luftzug. Und was war das? Das klang doch nach einem Kauz. Doch wie sollte hier ein Käuzchen hereinkommen? Hastig drehte sie sich um. Langsam aber sicher wurde es unheimlich. Was war hier nur los?
Nun stand sie direkt vor dem Wandteppich. Gwen hielt den Kerzenleuchter höher und besah ihn sich genauer. Im flackernden Kerzenlicht wirkte das Bild fast lebendig. Die Blätter an den Bäumen schienen sich zu bewegen und auch das Kaninchen sah fast so aus, als hätte es gerade mit den Ohren gezuckt.
Sie trat einen Schritt näher. Der Teppich zeigte einen phantastischen Wald. Seltsamerweise bei Nacht und trotzdem waren viele Tiere abgebildet. Sie sah genauer hin. Ja, tatsächlich, auf einem der Äste saß ein Kauz.
‘Ich werde noch verrückt!’, schoss es Gwendolin durch den Kopf. Jetzt FÜHLTE sie den Luftzug nicht nur, jetzt SAH sie ihn auch schon. Die Blätter an den Bäumen hatten sich ohne Zweifel bewegt und auch das Kaninchen war verschwunden. Dabei war sie sich ganz sicher, dass es gerade eben noch hier gewesen war.
Sie trat noch einen Schritt näher und stolperte plötzlich über etwas Weiches. Im Fallen sah sie nach unten und entdeckte eben dieses Kaninchen, das nun vor ihren Füßen saß. Sie streckte die Hände vor, um sich an der Wand abzustützen, aber dort war keine Wand mehr. Es gab nichts, was ihren Sturz aufhalten konnte. Mit einem Aufschrei kippte sie weiter, hinein in einen Strudel aus Farben und Formen. Alles verschwamm vor ihren Augen und irgendwann schaltete ihr Gehirn ab und sie fiel in eine erlösende Ohnmacht.

 © Petra Staufer
Dieser Text darf NICHT ohne meine ausdrückliche Genehmigung weiterverbreitet und veröffentlicht werden!
Sorry, dass ich das dazuschreiben muss, aber es kam schon vor.