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Freitag, 24. Oktober 2014

Die Macht der Phantasie - Teil 4


Och je… ich häng ja schon wieder hinterher.
Sorry, aber ich fürchte, das wird so rasch nicht besser werden. Wir haben hier ein wenig viel zu verarbeiten (danke nein, ich will nicht drüber reden. Auch wenn ihr es sehr lieb meint) da bleibt eben anderes auf der Strecke.

Um so mehr freut es mich, dass doch so viele mitlesen.



Kapitel IV – Dem Tapferen hilft das Glück


In dem Kuvert befand sich ein schlichter weißer Zettel und für einen Moment war Gwen ziemlich irritiert, als sie rein gar nichts darauf erkennen konnte. Sie drehte das Stück Papier um, doch auch auf der Rückseite waren keine Worte zu lesen. Was hatte das nur zu bedeuten? Warum legte jemand einen blanken Zettel in ein Kuvert und versiegelte dieses dann?

Gerade wollte sie das Papier weglegen, als wie von Geisterhand geschrieben Buchstaben aufleuchteten. Sie flackerten leicht und zusammen mit der rötlichen Farbe erweckten sie den Eindruck, als würde die Schrift brennen.

Gwen hatte einige Mühe, die verschlungene, ‚brennende’ Schrift zu entziffern.

Fortes fortuna audiavat

Latein? Damit hatte sie nun ganz und gar nicht gerechnet. Gwen wusste langsam wirklich nicht mehr, in was sie da hineingeraten war. Die Schriftzeichen flackerten immer noch, wirkten allerdings intensiver, auffordernder, gerade so, als drängten sie auf etwas.
„Fortes fortuna audiavat“, wiederholte Gwen nachdenklich und versuchte sich an den Lateinunterricht aus der Schule zu erinnern. „Dem Tapferen hilft das Glück.“
Kaum hatte sie die Worte übersetzt, da erlosch die Schrift wieder und das Papier zerbröselte unter ihren Fingern.
Verblüfft schüttelte die junge Frau ihre Hand und der Papierstaub verteilte sich über den Boden. Was war hier gerade geschehen? War das eine Nachricht an sie gewesen?

Ihr blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn Margowa trat plötzlich ins Zimmer. Etwas misstrauisch sah sie sich kurz um, doch dieser Eindruck verflog sofort wieder, als sie Gwendolin ansah.
„Guten Morgen, ich hoffe, du hast gut geschlafen?“
Gwen nickte bestätigend, kam jedoch nicht mehr dazu, etwas zu sagen, denn die andere trat bereits an den Schrank und zog ein Kleid hervor, wie Gwen noch keines gesehen hatte. Es übertraf alles, was sie sich bisher vorgestellt hatte und hätte sicherlich einer Prinzessin zur Ehre gereicht.
„Tut mir leid, dass ich dein Frühstück so abrupt beende“, fuhr Margowa fort und öffnete die Tür zum Waschzimmer. „Aber wir müssen uns beeilen. Komm.“

Gwen warf nochmals einen kurzen Blick auf ihre Hand, an welcher immer noch etwas Staub hing, und ihr fiel der merkwürdige Ausdruck auf Margowas Gesicht ein, als diese ins Zimmer gekommen war. Doch ein weiterer Blick in die Augen der anderen schob alle Bedenken zur Seite und so folgte sie ihr ins ‚Badezimmer’.

Zu ihrer Überraschung fand sie dort tatsächlich eine Sitzbadewanne vor, wie sie es bei einer Schlossbesichtigung schon einmal gesehen hatte. Das heiße Wasser dampfte noch leicht. Gwen fühlte sich mit einem Mal furchtbar schmutzig und es überkam sie das übermächtige Verlangen ein Bad zu nehmen. Ohne darüber nachzudenken ließ sie sich von Margowa aus dem Kleid helfen und stieg in die Wanne. Es störte sie dabei weder die Tatsache, dass die andere sie nun nackt sah, noch, dass sie sich kaum kannten.
Auch als Margowa ihr nach dem Bad in das frische Kleid half und damit begann ihre Haare zu kämmen und zu frisieren ließ Gwen alles über sich ergehen als wäre es selbstverständlich. Es war als stünde sie unter einem Bann, der erst von ihr abfiel als sie das Zimmer verließen.
War es richtig gewesen? Margowa hatte sich fast wie eine Dienstbotin verhalten und Gwen hatte es angenommen, als gäbe es nichts anderes. Gwen schämt sich dafür, doch als sie sich bei der anderen dafür entschuldigte, winkte diese nur mit einem freundlichen Lachen ab.

*

„Der Zauber beginnt bereits zu wirken“, murmelte der heimliche Beobachter an der Kristallkugel. „Mal sehen wohin das noch führt.“
Der Rabe saß nun auf seiner Schulter und die Gestalt strich ihm übers Federkleid.

*

Gwen war nicht überrascht gewesen, als sich das Schloss wieder in die windschiefe Hütte verwandelt hatte. Genauso selbstverständlich stieg sie in die wartende Kutsche, die von vier weißen Hirschen gezogen wurde und an diesem Ort ziemlich Fehl am Platz wirkte.
Sie freute sich darauf, endlich Lord Lyran vorgestellt zu werden und damit Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.

Als Margowa und Gwen eingestiegen waren, hüpfte Jacques auf den Kutschbock und los ging die Fahrt. Es gab weder Wege noch Pfade – trotzdem blieb die Kutsche nirgends hängen, so eng die Bäume auch standen. Es war, als machten sie kurzzeitig den Weg frei, um danach an ihre angestammten Plätze zurückzukehren.

Gwen genoss die Kutschfahrt sehr und noch mehr erfreuten sie die vielen Blumen, Pflanzen und Tiere, die sie unterwegs sah. Hier in dieser Welt gab es keinerlei Anzeichen von Umweltverschmutzung. Alles blühte und gedieh aufs herrlichste. Die Luft war klar und roch auch ganz anders. Viel frischer und irgendwie... sauberer.
‘Aprilfrisch’, dachte Gwen und grinste.

Schließlich erreichten sie den Waldrand und vor ihnen breitete sich eine weite Märchenlandschaft aus. Grüne Hügel, nur ab und zu unterbrochen von goldgelben Weizenäcker, blauen Bächen, die sich ihre Wege durch das Grün suchten und am Horizont türmte sich ein großes Gebirge auf.
Auf einem der Hügel zu ihrer Linken stand ein Schloss mit vielen Türmchen, deren Fahnen im sanften Wind schaukelten.

„Das ist unser Ziel“, erklärte Jacques, ehe Gwendolin fragen konnte. „Das Schloss von Lord Lyran. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir dort ankommen.“
Leicht nervös begann Gwen auf ihrem Platz hin und her zu rutschen, denn mit jeder Minute, die verging, wurde sie aufgeregter. Bald... bald würde sie ihre Antworten erhalten.


 © Petra Staufer
Dieser Text darf NICHT ohne meine ausdrückliche Genehmigung weiterverbreitet und veröffentlicht werden!
Sorry, dass ich das dazuschreiben muss, aber es kam schon vor.